
KI-Systeme als Steuervermeidungsarchitektur
„KI-Systeme als Steuervermeidungsarchitektur – Project 370 meets AI“: Diese These mag provokant klingen, doch sie beschreibt eine Realität, die in vielen internationalen Technologiekonzernen längst operativ wirksam ist. Künstliche Intelligenz wird nicht nur als Innovationstreiber gefeiert, sondern zunehmend auch als Instrument zur funktionalen Verschiebung steuerrelevanter Wertschöpfung. Der rechtliche Zugriff auf diese Systeme bleibt dabei oft fragmentarisch. Project 370 liefert einen strukturellen Analyseansatz, der erstmals systematisch erkennen lässt, wie KI in Steuerumgehungsmechanismen eingebettet werden kann – ohne dass ein direkter Rechtsbruch sichtbar wird. Die eigentliche Brisanz liegt jedoch in der Kombination aus algorithmischer Entscheidungsarchitektur, datenschutzgetriebener Intransparenz und transnationaler Plattformökonomie.
Funktionale Verlagerung durch KI – die neue Wertschöpfungsschnittstelle
KI-gestützte Systeme übernehmen in vielen Unternehmen längst Aufgaben, die traditionell durch steuerlich relevante Funktionen erbracht wurden. Pricing-Engines, Scoring-Algorithmen, Predictive-Maintenance-Systeme oder Chatbots mit Verkaufsfunktion sind keine Hilfsmittel, sondern aktive wirtschaftliche Einheiten, deren Beiträge zur Leistungserstellung eine betriebsstätten- und funktionsrelevante Qualität im Sinne der §§ 1, 3 AStG erreichen können.
Fundstelle:
BMF, Schreiben v. 22.12.2020 – IV B 5 – S 1341/19/10017 :001, Rn. 22 ff.
OECD Transfer Pricing Guidelines 2022, Kap. 1.42 ff., 6.6–6.12 („DEMPE Functions“)
KI als Entscheidungsarchitektur – die vertraglich unkontrollierte Betriebsstätte
Wenn künstliche Intelligenz operative Entscheidungen trifft – z. B. über Vertragsannahme, Preis, Produktauswahl oder Versand – ist sie nicht nur Software, sondern betriebswirtschaftlich betrachtet eine funktionale Einheit. Die steuerliche Betriebsstättenbegründung setzt nicht zwingend menschliches Verhalten voraus, sondern wirtschaftlich zurechenbare Entscheidungsprozesse (§ 12 AO, Art. 5 OECD-MA).
Fundstelle:
BFH, Urt. v. 23.03.2022 – I R 13/19, Rn. 21 ff. („Virtual PE“)
OECD MA-Kommentar 2022, Art. 5 Rz. 42.2 („automated equipment“)
Datenschutz als Schild – wenn Intransparenz zur Steuerstrategie wird
Ein besonders perfider Aspekt: Die Kombination von DSGVO-konformem KI-Einsatz mit steuerlich relevanter Intransparenz. Viele Plattformen trainieren ihre Modelle auf personenbezogenen Daten, anonymisieren diese anschließend oder deklarieren sie als „aggregierte statistische Modelle“. Steuerlich betrachtet verschwindet damit die Herkunft der Wertschöpfung.
Fundstelle:
EuGH, Urt. v. 20.12.2017 – C-434/16 (Nowak)
BMF, Schreiben v. 02.07.2021 – IV B 3 – S 0300/21/10004 :001, Rn. 56 ff.
EDPB Guidelines 07/2020, Rn. 38–47
KI, Geldwäsche und wirtschaftlich Berechtigte – ein toxisches Dreieck
Die Integration von KI in Zahlungsstrukturen, Wallet-Verwaltung und Identitätsprüfung führt zu einer neuen Verschleierungsebene bei wirtschaftlich Berechtigten. Wenn eine KI entscheidet, welche Wallet wem zugewiesen wird, welches Level an KYC erforderlich ist oder wann ein Zahlungsausgang blockiert wird, sind traditionelle Kontrollmechanismen schnell überfordert.
Fundstelle:
BGH, Urt. v. 25.10.2022 – 5 StR 267/22
BMF, Schreiben v. 06.03.2025 – IV B 6 – S 0545/19/10002 :006
FATF, Report „Virtual Assets Red Flag Indicators“
Project 370 – ohne Details, aber mit Wirkung
Project 370 ist kein Produkt, kein Gutachten, keine Kanzleimarke. Es ist ein Denkmodell, das aufzeigt, wie steuerlich relevante Verlagerungsstrukturen in digitalen Kontexten funktionieren – systematisch, reproduzierbar, forensisch belastbar.
Fundstelle:
Hortmann, Project 370 – Modul 3, unveröffentlichtes Arbeitspapier, Juni 2025
Fazit: Recht kennt keine Maschinen, aber Verantwortung
„KI-Systeme als Steuervermeidungsarchitektur – Project 370 meets AI“ ist nicht nur eine These, sondern eine Einladung zur strukturellen Aufklärung. Wer als Unternehmen oder Plattform künstliche Intelligenz nutzt, muss nicht nur datenschutzrechtlich, sondern auch steuerlich Verantwortung übernehmen.
Die Rechtsordnung kennt keine Maschinen – aber sie kennt wirtschaftliche Zurechnung, funktionale Steuerverlagerung und Täuschungstatbestände. Und genau dort, wo menschliche Entscheidung durch maschinelle Optimierung ersetzt wird, entsteht steuerrechtlich kein rechtsfreier Raum, sondern ein neuer Tatbestand.
Weitere Beiträge zum Thema:
- Künstliche Intelligenz & Steuerrecht – Überblicksseite
- § 370 AO – Wann beginnt Steuerhinterziehung?
- Geldwäsche & KI – Risiken erkennen
Externe Fundstellen: